Eigentlich hätte diese Nachricht dich erst am Sonntag erreichen sollen. Aber sie kann nicht warten. Vielleicht hast du am Montag auch dieses Zitat von Margot Friedländer gelesen: «Schaut nicht auf das, was euch trennt. Schaut auf das, was euch verbindet.» Wenn sogar diese beeindruckende Frau, die das Grauen des Holocaust überlebt hat, die Kraft und die Bereitschaft für Dialog und Verbindung in sich trägt – dann können wir das auch hinkriegen. «Mit denen redet man nicht» können wir uns nicht mehr leisten. Nicht vor einer so wichtigen Wahl. Und nicht nach heute.
Let’s do this.
Veränderungsmotor #1: Nicht mehr bewerten.
Sowohl du als auch dein Gegenüber seid überzeugt, dass der jeweils andere komplett «falsch» denkt und handelt. Es ist (leider) menschlich, weniger Geduld mit Andersdenkenden zu haben, wenn wir uns moralisch im Recht fühlen. Oft halten wir Andersdenkende sogar für dumm und/oder bösartig. Schuld daran ist eine kognitive Verzerrung namens Motive attribution asymmetry. Verzerrungen aber verlieren ihre Macht über uns, sobald wir sie uns bewusst machen und uns für einen neuen Weg entscheiden. Wir müssen zwischen Meinung und Mensch unterscheiden. Meinungen haben nicht immer unseren Respekt verdient – Menschen hingegen schon.
Veränderungsmotor #2: Gefühle benennen.
Jede emotionale Veränderung beginnt «mit der Wahrnehmung des emotionalen Erlebens», schreiben die Psychotherapeutinnen Elisabeth Wagner und Ulrike Russinger. Die eigenen Gefühle benennen zu können (und auch unser Gegenüber darin zu bestärken), ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein mächtiges Tool: Erstens verbessern wir unsere Beziehung, wenn wir unser Gegenüber nicht impulsiv bewerten, sondern einfach nur teilen, was gerade in uns vorgeht. So zeigen wir unserem Gegenüber, dass die Beziehung nicht infrage steht, und öffnen einen Raum für Verletzlichkeit und Veränderung.
Zweitens ist emotionale Intelligenz ein wichtiger Schutzfaktor gegen Manipulation. Populisten haben keine guten Argumente; deswegen müssen sie auf Fake News setzen. Fake News lösen starke Gefühle aus – aber emotional intelligente Menschen erkennen diese Manipulation rechtzeitig: Sie treten innerlich erst mal einen Schritt zurück, wenn scheinbar aus dem Nichts starke Gefühle in ihnen hochkochen, statt direkt in die emotionale Achterbahn einzusteigen.
Wenn wir also unser Gegenüber ermutigen, die eigenen Gefühle bewusst wahrzunehmen und auszudrücken, verbessern wir nicht nur unsere Beziehung, sondern wir empowern ihn oder sie, ab jetzt Manipulation besser zu erkennen.
Veränderungsmotor #3: Mentalisieren.
Überzeugungsarbeit ist Beziehungsarbeit. Wir können nachhaltige Veränderungen nur anstoßen, wenn wir andere nicht missionieren wollen, sondern uns ehrlich dafür interessieren, warum sie glauben, was sie glauben. Eine hilfreiche Kommunikationstechnik hierbei ist das Mentalisieren, also der Versuch, die innere Welt des anderen zu verstehen: Was treibt ihn an; was ist die emotionale Funktion ihrer Überzeugung; wie könnte er mein Verhalten und meinen Tonfall gerade deuten? Mentalisieren schult unsere Empathiefähigkeit – und die unseres Gegenübers. Wir können es sowohl durch die Schilderung unserer Wahrnehmung trainieren als auch durch Fragen. Mehr zu dieser und zu vielen anderen effektiven Kommunikationstechniken kannst du kostenlos hier lesen.
Veränderungsmotor #4: Zum konstruktiven Denken einladen.
Wenn wir die Überzeugung unseres Gegenübers offensiv angreifen, erzeugen wir oft nur Reaktanz. Stattdessen könnten wir entweder indirekt argumentieren, wie in der letzten Folge besprochen, oder durch konstruktives Nachfragen das Schwarz-Weiß-Denken unseres Gegenübers aufbrechen: «Wann hattest du zuletzt das Gefühl, dass es Deutschland einigermaßen gut geht? Woran genau lag das? Wer oder was hat in dir ein Gefühl von Optimismus ausgelöst?» oder «Was könntest du und was könnten wir alle jetzt ganz konkret in unserem Alltag verändern, damit es in Deutschland wieder voran geht?»
Wichtig: Diese Technik solltest du erst einsetzen, wenn ihr gemeinsam das Thema Emotionale Hausordnung geklärt und eure persönlichen Grenzen abgesteckt habt.
Veränderungsmotor #5: Brücken bauen.
Ganz gleich, wie wichtig das Thema ist: Wenn es uns nur darum geht, eine Diskussion zu gewinnen, können wir uns die Zeit (und Kraft) sparen. Es gehört zu einem respektvollen Miteinander dazu, unserem Gegenüber zu ermöglichen, sein oder ihr «Gesicht zu wahren». Erst wenn sich alle Beteiligten im Gespräch sicher fühlen, wird es möglich, Überzeugungen zu überdenken oder sogar zu revidieren. Wir alle haben uns schon getäuscht, und wir alle haben am nachhaltigsten dazugelernt, wenn wir nicht beschämt oder gar beschimpft wurden. Suche im Miteinander gezielt nach Gemeinsamkeiten – egal, wie klein sie sein mögen – und mach diese Gemeinsamkeiten stark.
Was denkst du dazu? Und was wünschst du dir für die nächsten Ausgaben? Wie kann ich dich jetzt bestmöglich unterstützen?
PS: Wie du effektiv über Politik diskutieren und dabei deine Grenzen schützen kannst, steht ausführlich und mit vielen Formulierungsvorschlägen in meinem neuen Buch, das am Weltfrauentag/feministischen Kampftag erscheint.
We can do this! 🫶