Demokratie retten? Let’s go! ❤️🔥
Rechtspopulisten haben lange genug unsere Debattenkultur vergiftet.
Es ist Zeit, nicht mehr wie das Kaninchen vor der Schlange zu hocken und auf die nächste Provokation zu warten. Dieser Newsletter hilft dir dabei, in Diskussionen über Politik souverän zu bleiben, Manipulationsversuche auszuhebeln und dein Gegenüber wirklich zu erreichen und zu überzeugen.
In diesem Sinne: Willkommen bei Lass mal BESSER reden! Heute geht es darum, wie Radikalisierung funktioniert und warum du mit Fakten allein nicht weiterkommst. Ich freu mich auf deine Kommentare, Fragen und Themenwünsche. Dieser Newsletter ist für dich und dein Feedback hilft mir dabei, ihn besser zu machen.
Okay, wir gehen rein:
3 Fakten über Radikalisierung, die du kennen musst
1. Egal, um welche Ideologie, Partei oder Gruppe es geht: Wer sich radikalisiert, will sich das eigene Leben als Heldengeschichte erzählen. Natürlich wünscht sich jeder Mensch, dass sein Leben einen Sinn hat. Bei einer Radikalisierung aber überstrahlt dieses Streben nach persönlicher Bedeutsamkeit («Significance Quest») alle anderen Bedürfnisse. Deswegen verändert sich das Verhalten der radikalen Person oft so stark, dass Familie und Freundeskreis sie kaum noch wiedererkennen.
2. Der Extremismusforscher Daniel Köhler beschreibt Radikalisierung als «Ent-Pluralisierung»: Die jeweilige Ideologie nimmt immer mehr Raum ein und frisst die Persönlichkeit förmlich auf. Eigene Wünsche und Werte werden immer weiter zurückgedrängt; die eigentlich bunte und vielfältige Welt erscheint zunehmend schwarz-weiß. Irgendwann ist die Ideologie alles, was die radikale Person (ihrem Gefühl nach) noch hat. Deswegen erlebt sie jede kritische Nachfrage und jede Konfrontation mit Fakten als existenzbedrohenden Angriff – und reagiert entsprechend extrem, z.B. mit Aggression und/oder Kontaktabbruch.
Wichtig: Auch bei nicht-radikalen Menschen beeinflussen Überzeugungen die Denkprozesse! Je stärker eine Meinung ausgeprägt ist, desto stärker verzerrt das Gehirn neue Informationen so, dass die Meinung – vermeintlich! – bestätigt wird. Deswegen können wir uns in Diskussionen über Politik nicht allein auf Fakten verlassen: Die gleichen Fakten können sehr unterschiedliche Reaktionen auslösen. Der wissenschaftliche Name für diese kognitive Verzerrung lautet «Motivated Reasoning».
3. Der häufigste Grund für einen Ausstieg aus radikalen Ideologien und Gruppen ist nicht die Konfrontation mit Fakten und Argumenten, sondern dass persönliche Bedürfnisse nicht (mehr) erfüllt werden: Vielleicht ist die Person in finanzielle Not geraten und kann nicht länger ignorieren, dass der Gruppenanführer Spendengelder nicht für das gemeinsame Anliegen einsetzt, sondern für sein privates Luxusleben. Vielleicht ist die Person schwer erkrankt und wird von ihren angeblichen Verbündeten fürs Leben fallen gelassen. Radikale Gruppen brechen immer ihre Versprechen. Deswegen versuchen sie so oft, Neuankömmlinge von Familie und Freundeskreis zu isolieren: Wenn es kein liebevolles Umfeld mehr gibt, wird ein Ausstieg schwer bis unmöglich.
Die Deradikalisierungsforschung zeigt, dass familiärer Rückhalt beim Ausstieg aus Sekten, Gangs und sogar Terrorgruppen hilft. Als Familie und Freund*innen sind wir die Tür zurück in die Welt. Unsere Joker sind nicht Faktenchecks und Belehrungen, sondern eine tragfähige Beziehung, die Entscheidung gegen persönliche Bewertungen und die Bereitschaft, auch dann im Kontakt zu bleiben, wenn unser Gegenüber es uns zeitweise wirklich schwer macht.
Wichtig: Das bedeutet nicht, dass wir den Kopf hinhalten und uns beleidigen lassen müssten! Selbstschutz kommt immer zuerst. Selbstschutz muss aber nicht automatisch Kontaktabbruch bedeuten. Im Gegenteil. Wir tun gerade radikalen Personen, die von ihrer jeweiligen Gruppe (oder Partei) permanent mit Propaganda befeuert und unter Druck gesetzt werden, einen Gefallen, wenn wir deutlich machen: Beziehungen dürfen Regeln haben und wir alle haben jederzeit ein Recht auf Grenzen.
Wie du dich abgrenzen kannst, wenn dein Gegenüber AfD-Parolen verbreitet, erkläre ich beim nächsten Mal. Und weil es heute wichtiger denn je ist, wirksam zu kommunizieren: Leite diesen Newsletter an alle weiter, die ihn brauchen könnten.
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Quellen und Leseempfehlungen
Fakt 1:
Michael A. Hogg/Janice Adelman: Uncertainty-Identity Theory. Extreme Groups, Radical Behavior, and Authoritarian Leadership, in: Journal of Social Issues Volume: 69 (3), 2013
Arie W. Kruglanski et al.: Fully Committed, in: Political Psychology, 30 (3), 2009
David Webber/Arie W. Kruglanski: Psychological Factors in Radicalization. A «3 N» Approach, in: Gary LaFree/Joshua D. Freilich (Hg.): The Handbook of the Criminology of Terrorism 33 (46), Hoboken, NJ, 2016
Fakt 2:
Robin Bayes et al.: When and how different motives can drive motivated political reasoning, in: Political Psychology, 41 (5), 2020
Daniel Köhler: Understanding Deradicalization. Methods, Tools and Programs for Countering Violent Extremism, Routledge 2016
Ziva Kunda: The case for motivated reasoning, in: Psychological Bulletin, 108 (3), 1990
Fakt 3:
Tore Bjørgo: Dreams and disillusionment, in: Crime, Law and Social Change 55(4), 2011
John Horgan: Individual disengagement, in: Tore Bjørgo/John Horgan (Hg.): Leaving Terrorism Behind. Individual and Collective Disengagement, London 2008
Daniel Köhler: Understanding Deradicalization. Methods, Tools and Programs for Countering Violent Extremism, Routledge 2016