Radikalisierung einfach erklärt, Teil 4: Die Rolle des Journalismus
3 Fehler – und 7 gute Alternativen.
Eine Klientin schrieb unlängst, meine Beratung fühle sich an wie das Abreißen eines Pflasters: „Erstmal überraschend unangenehm, aber es wird das Wichtige zutage gebracht und ab dann wird’s besser.“ In diesem Sinne: Lasst uns Tacheles reden. Die Berichterstattung über Radikalisierung hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert: Weniger false balance; weniger vorauseilende Stigmatisierung von Radikalen als krank oder abgehängt; mehr wissenschaftliche Expertise. Drei gefährliche Fehler begegnen uns aber weiterhin und ich habe einen Schwung Ideen mitgebracht, wie es besser geht.
🩹 Fehler 1: Radikale auf Demos „konfrontieren“
Menschen neigen dazu, an ihrer Meinung festzuhalten – auch dann, wenn diese Meinung widerlegt wurde. (Diese Erkenntnis verdanken wir übrigens einem Psychologen und einer UFO-Sekte; hier gibt’s alle Details.) Robert Abelson, ebenfalls Psychologe, stellte schon in den 90ern fest: Überzeugungen fühlen sich für uns an wie Besitztümer. Wir verteidigen sie so erbittert, als wollte uns jemand bestehlen. Wer andere wirklich erreichen will, kommt mit Fakten allein meist nicht weiter. Das gilt für Radikale umso mehr, denn Radikalisierung bedeutet Ent-Pluralisierung: Die Ideologie verdrängt nach und nach persönliche Bedürfnisse, Ziele und Eigenschaften. Irgendwann bleibt der radikalen Person gefühlt nur noch ihre Überzeugung. Mit Gleichgesinnten zu demonstrieren, ist ein öffentliches Bekenntnis – ein Opfer, getrieben vom Wunsch nach Anerkennung in der wichtigsten Bezugsgruppe.
👉 Greifen Journalist*innen auf Demos vor laufender Kamera die Überzeugung radikaler Personen an, markieren sie sich selbst als Feind. Das Resultat: Entweder ist die Person vorbereitet und spult routiniert Fake News ab – oder sie ist argumentativ überfordert, will sich aber so dringend vor ihrer Bubble beweisen, dass es zu verbaler oder sogar körperlicher Gewalt kommt. In beiden Fällen zementiert die journalistische Konfrontation das eigene Feindbild – und kann Menschen noch tiefer in die Radikalisierung treiben.
Wie könnte es besser gehen?
Interviewt Aussteiger*innen: Wie hätten sie auf solche Konfrontationsversuche reagiert? Was hat ihnen wirklich geholfen, ihre Ideologie zu hinterfragen?
Holt regelmäßig Wissenschaftler*innen ins Boot: Lasst sie erklären, wie Radikalisierung funktioniert und was wir tun können – politisch, gesellschaftlich, individuell.
Platziert unter jedem Bericht über radikale Gruppen einen Info-Kasten: Wo finde ich Hilfe, wenn ich aussteigen will? Wo kann ich mich kostenlos beraten lassen, wenn ein geliebter Mensch abzurutschen droht?
🩹 Fehler 2: Populisten inhaltlich stellen wollen (und dabei inkonsequent sein)
Radikale Anführer und Stichwortgeber vermitteln ihren Anhängern, sie seien Helden. Helden mit Geheimwissen; Helden, die die Welt verändern und retten werden. Dieses verheißungsvolle Narrativ lässt sich mit Fakten allein nicht aushebeln. Trotzdem hält sich in vielen Redaktionen der Irrglaube, man könnte die AfD inhaltlich stellen.
👉 Gleichzeitig werden immer wieder Kolleg*innen ins Interview geschickt, die ihren Gästen weder inhaltlich noch rhetorisch gewachsen sind. Denken wir etwa an Caren Miosga, die allen Ernstes mit Tino Chrupalla über „Hackepeter in Görlitz oder Schnitzel im Borchardt“ plaudern wollte und kein ernstzunehmendes Paroli bot, als er Ermittlungen gegen Maximilian Krah und Petr Bystron mit „Korruption gibt es in jeder Partei“ abschmetterte. Oder denken wir an Lars Sänger, der auf Björn Höckes Hetze gegen Inklusion vor allem mit Phrasen wie „spannend“, „richtig“ und „genau“ reagierte. Wer gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nicht konsequent einordnet (oder sie sogar zustimmend begleitet), verfehlt den journalistischen Auftrag, dem öffentlichen Diskurs zu dienen.
Wie könnte es besser gehen?
Der Soziologe Nils C. Kumkar liefert eine wertvolle Orientierung: „Die Frage ist jeweils, ob der Profit für die extreme Rechte größer ist als der Beitrag zur politischen Aufklärung.“
Wenn Populisten und Rechtsradikale eingeladen werden, braucht es:
Moderation, die menschenfeindliche Parolen sofort einordnet
Live-Faktenchecks
keine unkommentierte Weiterverbreitung von Interviews mit Falschaussagen – stattdessen: Korrekturen und Einordnungen einblenden.
🩹 Fehler 3: Bürgerlicher Lustgrusel statt fundierter Aufklärung
„Nirgendwo wird interessanter über Politik gestritten als in der AfD”, hieß es kürzlich bei Zeit Online. Der preisgekrönte Journalist und Politikwissenschaftler Robert Pausch schwärmte, dass der neurechte Vordenker Götz Kubitschek und der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah in einem Podcast „strategisch“, „gewitzt“ und „grundlegend“ diskutiert hätten. (Eigentlich wurde nur – wenig überraschend – der Staat als Gegner inszeniert, aber Pausch attestierte „Tiefe und Substanz“.) Nach einer Empörungswelle wurde die Überschrift zu „Rechts dreht auf” geändert. Der Text aber bleibt ein Paradebeispiel dafür, was Nils C. Kumkar als „Lustgrusel” beschreibt: „Wenn das, was rechts außen passiert, strukturell für "interessanter" gehalten wird, dann hat die Selbstinszenierung der extremen Rechten als schwarze Ritter schon funktioniert. Sie sind auch deshalb in der Offensivrolle, weil man sie in diese Rolle kommen lässt.”
👉 Es ist bitter genug, dass der deutsche Journalismus über Jahrzehnte Radikalisierung als Problem der Abgehängten und Ungebildeten deklariert – und umgekehrt die bürgerlich daherkommende AfD mit ihrem „Rassismus der Nadelstreifen” (Zitat Andreas Kemper) lange verharmlost hat. Wer demokratiefeindliche Äußerungen verherrlicht, verspielt zusätzlich Vertrauen.
Wie könnte es besser gehen?
Entscheidet redaktionell, dass jeder Beitrag über radikale Akteure Kontext liefern muss. Zum Beispiel: Woran erkennt man gefährliche Ideologien? Wie zeigt sich Populismus in der Sprache? Wie ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft verankert? Wie beeinflussen Wirtschaftskrisen die Radikalisierungsbereitschaft? Wie laufen (De-)Radikalisierungsprozesse ab? Wie schützt emotionale Intelligenz vor Fake News?
Reflektiert eure Rolle – mindestens intern, bestenfalls auch öffentlich: Welche Fehler haben wir im Umgang mit der AfD gemacht? Was haben wir daraus gelernt? Wo sehen wir unsere Grenze bei der Aufklärung über Radikalisierung – und wer muss für diese Grenze einspringen?
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